Der unbezahlbare Schutz

By Karl Grandl 01_02_2023

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Die Kirchensteuer wird nach Einkommen berechnet. Ebenso wird die Tagessatzhöhe bei Straftaten den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen angepasst. Und auch die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung und die staatliche Rentenversicherung werden als Prozentsatz des Einkommens berechnet. Anders bei der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung wird nicht nach Einkommen, sondern nach Laufzeit, Berufsgruppe, Hobbies, Alter und Gesundheitszustand unterschieden. Für den gesunden jungen Menschen in einem Beruf mit sehr geringem Risiko ist das super, für die anderen leider sehr teuer.

        Aus einfach wird kompliziert

        Otto von Bismarck hatte vor über 140 Jahren die Sozialversicherung in Deutschland eingeführt. Ihre Geburtsstunde ist der 15. Juni 1883. Da wurde nämlich das „Gesetz betreffend der Krankenversicherung der Arbeiter“ erlassen. Von diesem Zeitpunkt an sind Industriearbeiter und Beschäftigte in Handwerks- und Gewerbebetrieben krankenversicherungspflichtig. Das System von Bismarck hat gerade die Arbeiter in den Kohleminen und deren Angehörige gut abgesichert. Sie war für alle gleich ausgestaltet, hatte ganz einfache Regeln und keine aufwändigen Antragsfragen oder Leistungsprüfungen. Das System hat heute noch Bestand.

        // Man verlangt mehr Geld bei leicht erhöhten Risiko
        // Man sortiert die Kunden aus, die statistisch ein sehr hohes Risiko darstellen
        // Man nimmt diese Kunden, begrenzt aber die Schadenswahrscheinlichkeit durch Ausschlüsse der hohen Risikofaktoren.

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        So kann man Kunden mit einer bestimmten Vorerkrankung annehmen, schließt diese aber als Ursache für Berufsunfähigkeit aus. Kunden Bandscheibenproblemen würden einen Ausschluss des “Bewegungsapparats” erhalten. Bei allen anderen Ursachen würde die Versicherung ganz regulär leisten.

        “Diese Risikoselektion hat ihren Preis: Zeit und Nerven”

        Beides benötigt man, wenn man die vielen Antragsfragen zur Risikoermittlung ordentlich beantworten will. Falsch beantwortete Fragen können später schlimme Folgen haben.

        Im Kampf um Marktanteile wurde neben dem Preis nun auch die vertragliche Regelung – Wann genau bezahlt werden muss und wann nicht! – ein wichtiges Merkmal. Aus einer einfachen Definition “Wenn Du nicht mehr kannst…” wurde eine sehr ausgeklügelte Formulierung mit Dutzenden von Einschränkungen und Ausschlüssen.

        Als wäre die “Gesundheitsprüfung” nicht schon kompliziert genug, kam man auf die Idee, Kunden nach Ihrem Berufsbild in sogenannte Berufsgruppen einzuteilen. Anfangs kaufmännisch und handwerklich. Anfang der 80er Jahre wurde aus zwei Berufsgruppen vier und heute stehen wir bei 13 verschiedenen Berufsgruppen.

        Das Kamel 2.0 an zwei Beispielen

        Das erste Beispiel zeigt die unfassbare Komplexität der privaten BU:

        In Deutschland gibt es 324 anerkannte Ausbildungsberufe und mehrere tausend Unterteilungen. Was tun, wenn der Beruf , wie ihn der Arbeitgeber bezeichnet, nicht in der Liste vorkommt oder ein anderes Berufsbild hat als angenommen? Die Tätigkeit eines Business Development Managers klingt nach einem Bürojob. Wenn es jetzt einen BizDev Manager für Baumaschinen gibt, müsste dieser wahrscheinlich die ganze Zeit Baustellen besuchen. Das wäre ein ganz anderes Risiko alleine aufgrund der Reisetätigkeit und würde mit der Berufsliste nicht übereinstimmen. Was für ein Stress bitte ist es, den richtigen Beruf anzugeben. Neben der reinen Angabe zum Beruf kommen nun noch Fragen nach Reisetätigkeit und Führungsverantwortung hinzu. Wenn man seinen Beruf nicht findet, benötigt der Versicherer eine ganz genaue Beschreibung der Tätigkeiten. Einfach geht anders.

        Das zweite Beispiel zeigt sehr deutlich, wie unsozial die private Berufsunfähigkeitsversicherung eingestuft wird:

        Notare gehören zu der Berufsgruppe mit dem geringsten Risiko. Entsprechend müssen sie auch am wenigsten bezahlen, obwohl sie sich aufgrund Ihres Einkommens auch einen etwas höheren Beitrag leisten könnten. Krankenschwestern oder Altenpfleger*innen etc. gehören zu den mittelhohen Risiken. Sie müssen beispielsweise bei einer Vertragslaufzeit bis zum Alter von 67 Jahren ungefähr das Vierfache an Beiträgen (circa 160 Euro) für die gleiche Absicherung bezahlen wie der Notar (circa 40 Euro). Das können sich Menschen mit nicht ganz so hohem Einkommen einfach nicht mehr leisten.

        Dieses Beispiel erinnert mich an meinen Artikel “Wie schnell ist Dein Kamel?”. Die Händler mit den schnellen Kamelen hätten zur gemeinsamen Absicherung nicht genauso viel zahlen müssen wie die mit den langsamen Kamelen. Sie hatten einfach ein geringeres Risiko, überfallen zu werden. Und die mit den langsamen Kamelen konnten sich die Versicherung dann nicht mehr leisten, weil zu teuer. Damit verliert man große Teile potenzieller Zielgruppen. Die Krankenschwester bekommt täglich bei ihrer Arbeit mit, wie wichtig es ist, vorzusorgen.

        Nun gibt es natürlich Versuche der Branche, Alternativen zu schaffen:

        // Eine Grundfähigkeitsversicherung: Zahlt bei Verlust einer der Grundfähigkeiten (hören, sehen, laufen, etc.)
        // Die Dread Disease Versicherung (Zahlt bei Diagnose einer schweren Krankheit.)

        Beide leisten bei einem klar definierten Ereignis: Zum Beispiel – Verlust der Sehkraft im Falle der Grundfähigkeiten oder eine “Neubildung”, sprich ein bösartiger Tumor im Falle der Dread Disease. Beides sehr gute Produkte, aber sie decken halt nur einen Teil des Risikos ab. ⅓ der Ursachen für Berufsunfähigkeit lassen sich mittlerweile auf psychische Erkrankungen zurückführen. Man spart sich auch viel Geld, wenn man eine kürzere Vertragsdauer wählt, also zum Beispiel nur bis 63. Die meisten Fälle passieren erst in hohen Jahren.

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        Wie schön wäre für Krankenschwestern und so viele andere Berufstätige eine einheitliche Berechnungsgrundlage, die sie sich dann auch leisten könnten.

        Genau das ist das Dilemma: Das Rad kann man leider nicht mehr zurückdrehen, solange man sich in einem Vergleichsmarkt mit identischen Produkten bewegt. Welche Rolle hier Ratingagenturen bzw. Vergleichs- und Analysehäuser spielen, beleuchte ich in einem der nächsten Artikel.



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